Die Tötung der Mutter durch die eigene Tochter oder den eigenen Sohn heißt in der Wissenschaftssprache Matrizid (matricide).
In knapp 20 Prozent dieser Tötungen sind die Töchter die Täterinnen.
Mütter, die schwer an Borderline erkrankt sind, können durch vermeintliche Kritik, empfundenen Verrat oder das Gefühl des Verlassenwerdens solche heftige Wut bekommen, das sie ihre Kinder psychisch und / oder physisch so in die Enge treiben, das sie einen Angriff seitens ihrer Kinder provozieren:
"Manche Kinder gehen körperlich auf ihre Mütter los, sie versuchen, sich mit einem Messer oder einer anderen Waffe gegen sie zu wehren. (...) Es kommt vor, dass die Angriffe der »Hexe« ein Kind zu Rachehandlungen provozieren; in diesem Fall ist die »Hexe« der Überzeugung, die Rache des Kindes rechtfertige ihre fortgesetzten Misshandlungen. Ein Teufelskreis entsteht, der seinen Ausgang von den Projektionen der Mutter genommen hat." (Lawson in "Borderline-Mütter und ihre Kinder", 4. Auflage 2011, S. 122 und 127).
Da die aktive Abwehr gegen eine jahrelang gewalttätige Mutter dennoch in psychologischer als auch körperlicher Hinsicht eine große Hürde darstellt, richten die Kinder in ihrer Verzweiflung die Waffe letztendlich eher verletzend oder gar tötend gegen sich selbst (siehe: Suizid) als gegen die Mutter.
Dennoch gibt es einige Fälle, bei denen davon auszugehen ist, das die o. g. Konstellation und Situation eingetreten war.
Typisch ist das Alter der Jugendlichen, wenn sie gegen die Mutter zur Täterin werden:
Mit ihrer Pubertät ab ca. zehn Jahren findet ein normaler Ablösungsprozess statt, der für eine Mutter mit Borderline zu einer Verstärkung ihrer Verlassensängsten führen kann. Deren Gefühlsüberschwemmungen finden ihren unreifen Ausdruck in Demütigungen, psychischer und physischer Gewalt gegenüber ihrem Kind. Oft ist der Partner der Mutter aufgrund seiner Co-Abhängigkeit keine Hilfe für das misshandelte Kind. Als Jugendliche sind bereits einige Jahre unter diesen schwierigen Bedingungen überlebt worden, aber eine endgültige Trennung vom Elternhaus scheint für die Jugendlichen aufgrund ihres Alters (noch keine Volljährigkeit) nicht realisierbar. Außerdem besteht in diesem Alter immer noch ihrerseits die (überlebenswichtige!) Hoffnung auf die Liebe der eigenen Mutter! Mit dieser Melange aus Liebe-Hass-Gefühlen gegenüber der Mutter kommt es zur tragischen Eskalation. Das Perfide hieran ist, dass die Töchter somit zu Täterinnen an ihren (Täterinnen-)Müttern "gemacht" worden sind.
Darüberhinaus dürfte es nicht selten vorkommen, das die Töchter durch die jahrelange traumatische Sozialisation selbst an Borderline als Traumafolge erkrankt sind und ihre Taten im Rahmen ihrer Wutanfälle als Affekthandlungen stattgefunden haben.
Die Tötung der Mutter aus Verzweiflung nach jahrelanger Gewalt, Grenzüberschreitungen und Psychoterror Am 13. April 2010 hat ein 14-jähriges Mädchen in Wien ihre 37-jährige Mutter ebenfalls mit einem Küchenmesser erstochen. Vorausgegangen waren jahrelange, heftige Streitereien, auch mit Handgreiflichkeiten, zu denen die Mutter laut Gutachten einen "zermürbenden und eindeutig psychopathologischen Beitrag" geleistet hatte. Begonnen hatten die Auseinandersetzungen, als das Mädchen zehn Jahre alt war. Die Tochter wurde von der Mutter geschlagen und beschimpft. Der zwei Jahre jüngere Bruder wurde von der Mutter bevorzugt. In der Schule war das Mädchen ungeliebt und wurde verspottet. Ihren wenigen Freundinnen hatte das Mädchen nichts von ihren familiären Problemen erzählt. 2008 und 2009 schrieb das junge Mädchen in ihrem Internet-Blog, das sie ihre Mutter umbringen müsste, aber auch von ihrem Selbsthass und ihrer Suizidalität. Am 13. April 2010 eskalierte eine Situation: die Mutter schlug ihre Tochter und bezeichnete sie als "Schlampe". Daraufhin erstach die 14-Jährige die Mutter. Die Kindheit des Mädchens war durch psychisches Leid und emotionale Vernachlässigung gekennzeichnet gewesen. Der Vater (44 Jahre) bestätigte im Gerichtsverfahren die Wutausbrüche seiner Frau, die sich vor allem gegen die Tochter gerichtet hätten. Er hielt im Verfahren zu seiner Tochter. Im September 2010 wurde die Tochter, mittlerweile 15 Jahre alt, wegen Mord zu fünf Jahren Haft verurteilt. Ihre Verhaltensauffälligkeiten gegenüber ihren Mithäftlingen während der Untersuchungshaft lassen vermuten, das das Mädchen als Traumafolgeerkrankung durch die Traumatisierung selbst eine Borderline-Persönlichkeitsstörung bekommen hat. Am 13. Dezember 2006 ersticht in Bautzen ein 14-jähriges Mädchen aus Verzweiflung ihre 34 Jahre alte Mutter mit einem Küchenmesser. Die Tochter hatte bis zu der Tat ein jahrelanges Martyrium überlebt: sie war von ihrer Mutter emotional vernachlässigt, misshandelt und gedemütigt worden. Die Tochter kam als nichteheliches Kind zur Welt. Die Mutter hasste den Vater ihrer Tochter, der sie geschlagen und nach der Geburt verlassen hatte. Sie projizierte diese Hassgefühle auf ihre Tochter. Das "Erziehungsverhalten" der Mutter gegenüber ihrer Tochter wurde immer strenger und liebloser. Die Tochter wurde isoliert, durfte ihre Freunde nicht besuchen, das Wohnzimmer wurde abgeschlossen, damit die Mutter ihre Tochter "nicht sehen musste". Sie erhielt kein Taschengeld und musste die Mahlzeiten allein im Kinderzimmer einnehmen. Geschenke für die Tochter nahm ihr die Mutter wieder weg. Mindestens seit ihrem 12. Lebensjahr wurde die Tochter von ihrer Mutter geschlagen und an den Haaren gezogen. Außerdem erhielt sie keine altersgerechte Kleidung, was zu Hänseleien in der Schule führte. Im Mai 2006 biss die Mutter ihrer Tochter in deren Unterschenkel, weil diese es gewagt hatte, sich die Beine zu rasieren. Einen Tag später schlug sie ihrer Tochter mehrfach ins Gesicht und zerrte an ihrer Jacke. Als das Kind stürzte, trat ihr die Mutter in den Bauch. Die Tochter konnte fliehen und als 13-Jährige Strafanzeige gegen ihre Mutter stellen. Dies war eine sehr mutige Tat. Die Anzeige dokumentierte die Misshandlung der Mutter, was für den Prozess später von Vorteil war. Von Ende Mai bis Ende Oktober 2006 lebte die Tochter in einer Gruppe für betreutes Wohnen. Am 29. Oktober 2006, ihrem 14. Geburtstag, kam die Tochter wieder in den mütterlichen Haushalt zurück. Die Mutter schlug nun ihr Kind nicht mehr, demütigte es aber weiterhin, indem sie ihre Tochter anspuckte oder nicht in die Wohnung ließ. Nach den immer heftiger werdenden Auseinandersetzungen mit der Mutter verübte das Mädchen selbstverletzendes Verhalten (ritzen) und schwänzte die Schule. Die Mutter drohte mit Heimeinweisung. Am Tötungstag hatte die Mutter Antrag auf Heimerziehung gestellt und die Wohnung abgeschlossen, damit die Jugendliche nicht flüchten konnte. Aus Wut und im Affekt erstach die Tochter die Mutter. Möglicherweise lag bei der Tochter durch die jahrelange Traumatisierung ebenfalls mittlerweile eine Borderline-Persönlichkeitsstörung als Traumafolgeerkrankung vor. Im Mai 2008 wurde ihre Jugendstrafe wegen Totschlags auf drei Jahre Haft verringert, nachdem der Bundesgerichtshof das erste Urteil (Haftstrafe von vier Jahren und zehn Monaten) aufgehoben hatte. Siehe auch: BGH 5 StR 511/07 Urteil vom 21. Februar 2008 (LG Bautzen) |
© Jana Reich, www.borderline-muetter.de, 2013-04-03
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